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Leben auf wechselnden Pfaden - ein letzter Gruß

11.12.2016

Zu Beginn des Jahres 2016 erreichte uns ein letzter Gruß unserer langjährigen Schirmfrau:

 

An die Damen des Vorstands der Frauenbrücke.
Mit Dank und guten Wünschen fürs neue Jahr von H. Hamm-Brücher, die sich über Ihre Berichte sehr gefreut hat!

 

 

Leben auf wechselnden Pfaden
Dank für Alles

 

Wenn ich mein wechselvolles 94-jähriges Leben mit all seinen Aufs und Abs bedenke, empfinde ich, dass es ein erfülltes Leben war. Was hat es nicht alles gebracht! Gute Zeiten und schwere, Glück und Unglück, Erfolge und Scheitern. Nichts davon möchte ich missen, trotz mancher schmerzlicher Kapitel. Alles hat meine Identität geprägt und meine Lebenskräfte gestärkt.

 

Wie wurde das möglich? Wie lässt es sich erklären?

 

Es gibt ein kleines Verslein (es soll aus dem Baltenland stammen), das mir zu Beginn meiner Emanzipation nach 1945 sozusagen in den Schoß gefallen ist, das mich dann durch die Jahrzehnte geleitet und über so manche Klippe hinweg geholfen hat. Es lautet:

 

Wechselnde Pfade, Schatten und Licht,
Alles ist Gnade, fürchte dich nicht!

 

Ja, so hat es sich im Laufe meines Lebens zugetragen. Es verlief nicht auf schnurgerader, vorgezeichneter Straße, sondern auf wechselnden, oft unübersichtlichen Pfaden mit Licht und Schatten. Heute empfinde ich es als „Gnade“, dass ich mich auch vor den Schatten nicht gefürchtet, sie vielmehr ausgehalten habe. Dazu bedurfte es eines Lebensmutes.

 

So wurden frühe Schicksalsschläge und Verluste zu ersten Bewährungsproben und trugen entscheidend zum Durchhalten meines späteren, fast 60-jährigen politischen Engagements bei. Alles, was mir beim Aufbau eines freiheitlichen Gemeinwesens gelang, wenn ich Menschen in ihren Nöten helfen konnte und sei es nur mit Anteilnahme und Ermutigung – mein ganzes Tun und Lassen hat seine Ursprünge in den düsteren Erfahrungen meiner Kindheit und Jugendzeit, die nachträglich zu einer Quelle meiner politischen Vitalität wurden. Dazu gehören auch die großen und bleibenden Glückserfahrungen meines Lebens. Als da sind: Mann und Kinder, Bewährung und Erfolge.

 

Alles, was mir gelang, empfand ich als „Gnade“ und alles, was mir nicht gelang, entmutigte mich nicht, sondern trug zu meiner Lebensbejahung bei.

 

Es ist diese Lebensbejahung als positive Grundeinstellung zum einmaligen Leben, denke ich, die Lebenskraft zu Lebensmut werden lässt. Und Lebensmut, er hilft nicht nur, Herausforderungen des Lebens anzugehen, auch zu bestehen und Widrigkeiten des Lebens zu überwinden, sondern sich an dem durch seinen Mut Erreichten zu erfreuen und dafür zu danken.

 

Gewiss, es gibt keine „Rezepte“, wie ein Leben glücken kann, denn jedes Leben wird von belebendem Licht und belastenden schatten begleitet, die individuell gelebt oder verkraftet werden müssen. Allenfalls kann man aus seiner Lebenserfahrung zehren und versuchen, andere daran teilhaben zu lassen und sie ein Stück des Weges zu begleiten.

 

Hildegard Hamm-Brücher

 

Bild zur Meldung: Hildegard Hamm-Brücher (Bild: picture-alliance/dpa)